Evolution des Menschen
Text von: Mag. Silvia Öller, auf Basis von "Lucy und ihre
Kinder" von Donald Johanson. www.vobs.at
Die nachfolgende Aufstellung benützt Donald
Johansons Einteilung der menschlichen Vorfahren in die beiden Gattungen
"Australopithecus" und "Homo".Diese Vereinfachung verbessert
deutlich den Überblick. Ältere Gattungsbezeichnungen wie z.B. "Paranthropus"
u.a. fallen hiermit weg.
Der Mensch ist ein
lebendes System, das sich durch einen hohen Grad von Differenzierung
auszeichnet. Er ist das vorläufige Endprodukt eines langen
entwicklungsgeschichtlichen Prozesses, der EVOLUTION.
Unter Evolution versteht man die Tatsache, dass alle Lebewesen im
Laufe der Erdgeschichte aus andersartigen Vorfahren in direkter Zeugungskette
entstanden sind. Die Abstammung des Menschen von tierischen Ahnen wurde bereits
1809 von LAMARCK, dem ersten konsequenten Anhänger des Evolutionsgedankens,
angedeutet. CHARLES DARWIN vermutet 1859, dass die Entstehung der Arten auch auf
den Ursprung des Menschen und seine Geschichte Licht werfen würde und beschäftigt
sich 1871 eingehend und beweisführend mit diesem Problem in seinem Werk
"Die Abstammung des Menschen", nachdem Th. H. HUXLEY 1863 in der
Vorlesung über "Zeugnisse für die Stellung des Menschen in der
Natur" Belege gebracht hatte, die den Menschen zusammen mit den
Menschenaffen, Affen und Halbaffen in die Ordnung der HERRENTIERE (PRIMATEN)
einreihten. Seit dem 18. Jh. werden die Hominiden, die einzige Familie
aufrechtgehender Primaten, unwiderruflich der Säugetierordnung der Herrentiere
zugeordnet, und ihre Stellung durch zahlreiche Kriterien gestützt und
gefestigt.
Wichtigen Kriterien für die Primatenzugehörigkeit:
Morphologische
Befunde: Mit den Primaten teilt der Mensch Greifhände mit gegenüberstellbarem
Daumen, flache, kurze Nägel, Füße mit Großzeh, ähnlich gestaltete
Ohrmuscheln und ein relativ großes Hirnvolumen. Er hat wie die Menschenaffen
nach vorne gerichtete Augen; die das Raumsehen zur höchsten Entwicklung
gebracht haben. Die Gebisse der Menschenaffen haben die gleiche Zahnformel wie
das Gebiss des Menschen. Allgemein lässt sich sagen, dass der menschliche Körper
nach einem Bauplan konstruiert ist, der mit wachsender Ähnlichkeit dem
Wirbeltier-, Säuger-, Primaten- und Menschenaffenbauplan entspricht.
"Einzigartige" Strukturen, die anderen Primaten fehlen, konnten beim
Menschen nach DOBZHANSY nicht entdeckt werden.
Abb.:
Kniegelenk von Australopithecus afarensis (aus Johanson). Der Winkel im Gelenk
zeigt beispielsweise, dass Australopithecus aufrecht gegangen ist.
Zytologische Befunde: Zu aufschlussreichen Ergebnissen führten in
den letzten Jahren cytogenetische Untersuchungen. Die Chromosomenzahlen
variieren innerhalb der Primaten beträchtlich, von bemerkenswerter Übereinstimmung
sind sie aber zwischen den Menschenaffen (2n = 48) und den Menschen (2n = 46).
Die überzähligen Affengene sind beim Menschen auf dem Chromosom 2 zusammengefügt.
Als noch bedeutungsvoller hat sich aber die Analyse der Chromosomenformen
erwiesen. Es zeigte sich, dass Menschenaffen und Menschen die gleichen
Chromosomentypen haben mit den gleichen Detailstrukturen. Dem Menschen am ähnlichsten
ist der Chromosomensatz des Schimpansen.
Serologische Befunde:
Auch bei den Menschenaffen sind die bekannten Blutgruppen A, B und 0 vorhanden.
Darüber hinaus konnte festgestellt werden, dass bei Gibbon, Orang-Utan und
Schimpanse auch die von Menschen bekannten A-Untergruppen vorliegen, und schließlich,
dass die chemische Struktur der Blutgruppenantigene denen
des Menschen entspricht.
Embryologische Befunde:
Die Embryonen verschiedener Wirbeltierklassen wie Haifisch, Küken und Mensch
sind sowohl in der Gesamtform als auch in der Ausbildung des Kopfes mit seinen
Augen, seinen Kiemenspalten, des Rumpfes mit den Gliedmaßen, Schwanz usw. kaum
zu unterscheiden.
Parasitologische Befunde:
Die Wirtsspezifität liefert aufschlussreiche Evolutionsbeweise, denn viele
Wirte haben ihre Parasiten von den Ahnformen mitbekommen. Läuse der Gattung
PEDICULUS leben beispielsweise nur auf Menschen und Schimpansen.
Biochemische Befunde:
Sequenzanalysen bei Nukleinsäuren und Eiweißen liefern nach der Größe der Übereinstimmung
ein Maß für die stammesgeschichtliche Verwandtschaft. So lassen sich
Doppelspiralen von DNA halbieren und unter Umständen mit radioaktiv markierten,
fremden Einzelsträngen komplementär neu verbinden. Solche Ergänzungen
verlaufen umso vollständiger, je ähnlicher die DNA-Moleküle, im weiteren
Sinne die sie liefernden Organismen, sind. So betragen sie bezeichnenderweise
zwischen Maus und Hamster 55 %, zwischen Maus und Meerschweinchen lediglich noch
24 % und zwischen Maus und Mensch gar nur noch 20 %. Hingegen bringen es Mensch
und Rhesusaffe auf "85 % Ähnlichkeit". Neueren DNA-Untersuchungen
zufolge haben Menschen über 98 % ihrer Gene mit den Menschenaffen gemeinsam.
Unterschiede in der Eiweißstruktur sind entsprechend aufschlussreich. Ein gut
untersuchtes Beispiel ist das Atmungsferment Cytochrom c. Je nach Tierart weist
es eine Sequenz von insgesamt 104 - 108 Aminosäuren auf, wobei einzelne
Positionen von verschiedenen Aminosäuren besetzt sein können. Zwischen Säugern
und Vögeln gibt es 10 - 15, zwischen Säugern und Fischen rund 20, zwischen Säugern
und Hefe schließlich 43 - 49 solcher unterschiedlicher Besetzungen. Hingegen
unterscheiden sich der Mensch und der relativ nahe verwandte Rhesusaffe nur in
einer einzigen Aminosäure.
Ethologische Befunde:
Zahlreiche Ähnlichkeiten zum allgemeinen Primaten-Verhalten sind nachweisbar.
So zeigen Schimpansen u.a. ein Lächeln, das unserem durchaus ähnlich ist. Auch
im Grußverhalten erscheinen zahlreiche Gemeinsamkeiten, so im Küssen, Umarmen
und Händereichen. Altes Erbe steckt wohl auch in unserer Drohstellung, bei der
die Arme in den Schultern einwärts rollen. Brutpflegehandlungen wie das Mund zu
Mund -Füttern finden sich bei Schimpansen ebenso wie bei Papuas und Pygmäen,
in übertragenem Sinne auch beim gegenseitigen Füttern als freundliche Geste,
woraus weiter das Küssen abzuleiten ist. Tiefverwurzeltes tierisches Erbe liegt
wohl auch unserem Bedürfnis nach Deckung und Ausblick zugrunde (Verhalten im
Restaurant). Kinder suchen Schutz bei der Mutter, später auch bei ranghöheren
Erwachsenen. "Der Artgenosse wird zum Fluchtziel, seine Nähe bedeutet
Geborgenheit" (EIBEL-EIBESFELDT). Im Dienste sozialen Kontaktstrebens
stehen auch die sozialen Körperpflegehandlungen, die bei vielen höheren
Wirbeltieren der Erhaltung der freundschaftlichen Beziehungen dienen.
Ritualisiert liegt sie beispielsweise in zärtlichen Handlungen wie Streicheln
und Kraulen vor. Eine weitere Gemeinsamkeit zwischen Affen und Menschen liegt in
dem bittenden Handausstrecken und dem Nicken des Kopfes. Auf Grund des
angeborenen Aggressionstriebes muss es im Sinne der Erhaltung der Sozietät zur
Ausbildung von Rangordnungen kommen. Moderne Untersuchungen (MILGRAM) haben
verdeutlicht, dass sich der Mensch zwar gegen die Herrschaft brutaler Gewalt
wehrt, dass er sich aber einer freiwillig anerkannten Autorität aus einer
deutlicher Disposition heraus bereitwillig unterordnet, ja gewissermaßen
ausliefert.
Bild:
Stammbaum von Australopithecus und Homo (nach GEO)
Bild:
Stammbaum von Australopithecus und Homo (nach Johanson)
Wichtigsten Kriterien für die Sonderstellung des Menschen
Neben den geschilderten Befunden gibt es eine Reihe von Merkmalen,
die den Menschen scharf von den Menschenaffen trennen. Es dreht sich hierbei
fast ausschließlich um Merkmale, die sich aus der Umkonstruktion zur voll
aufrechten Haltung und der Steigerung des Hirnvolumens ergeben haben. Der
aufrechte Gang: "Bipedie" kommt im Tierreich häufiger vor
(Dinosaurier, Vögel, Braunbär), doch ist deren Aufrichtung nur unvollkommen.
Die völlige Aufrichtung findet sich nur beim Menschen. Zwar sind aufrechte Körperhaltung
und aufrechtes Laufen auch den Menschenaffen möglich, jedoch nur für begrenzte
Zeit und unter sehr viel höherem Energieaufwand, da sie gezwungen sind, sich ständig
in der Kniebeuge zu bewegen.
Strukturbesonderheiten
infolge vollständiger Aufrichtung: Die Wirbelsäule wird aus einem Brückenbogen
zu einer federnden Säule, die durch mehrfache Biegung die Stöße des
zweibeinigen Gehens auffängt und die Rumpfmasse über die Stützfläche der Füße
bringt. Das Becken hat nunmehr die ganze Last der Eingeweide des Unterrumpfes zu
tragen, die Beckenschaufeln treten daher breit auseinander und werden durch das
gleichfalls verbreiterte Kreuzbein in ihrer tragenden Funktion unterstützt.
Breiter und flacher wird mit der Aufrichtung auch der Brustkorb. Diese
Verbreiterung und Abflachung des oberen Rumpfes bedingen auch die Verlagerung
der Schulterblätter aus ihrer seitlichen Lage nach hinten, wodurch der Arm jene
große seitliche Beweglichkeit gewinnt, die für den Menschen so
charakteristisch ist. Stärker durch die aufrechte Haltung geprägt werden die
hinteren Extremitäten. Sie allein tragen jetzt den Körper und haben ihn
fortzubewegen. Sie werden beim Menschen besonders lang und kräftig. Im
Vergleich zu den Menschenaffen werden die Beine indessen nicht nur wesentlich länger
als die Arme, auch im Verhältnis zur Rumpflänge entwickelt der Mensch die längsten
Beine. Der menschliche Fuß, als an den zweibeinigen Gang angepasste Stütze,
weist kaum mehr den Charakter eines Greiffußes auf. In der embryonalen
Entwicklungsphase stimmt die menschliche Fußform bis zu einem gewissen Grad
noch mit derjenigen anderer Primaten überein; erst später erfolgt die
Differenzierung. Im Zuge der Eigenentwicklung tritt die Großzehe in die Reihe
der übrigen Zehen und verstärkt sich. Die Zehenglieder, insbesondere die der fünften
Zehe, verkürzen sich auffallend. Im Zuge der Aufrichtung kommt es zur
Ausbildung des Fußgewölbes. Die Wölbung, die sowohl längs als auch quer verläuft,
gewährleistet die notwendige Elastizität beim zweibeinigen Gehen, Laufen und
Springen.
Der Schädel wird über der aufrechten Längsachse des Körpers
frei balanciert und lässt Nackenmuskulatur und Schnauzenpartie degenerieren. Es
wird zum besonderen Kennzeichen des menschlichen Schädels, dass ein relativ
kleiner Gesichtsschädel sich nicht mehr vor, sondern unter dem mächtig sich wölbenden
Hirnschädel legt. Der Zahnbogen wird verkürzt, selbst die Zunge wird kürzer
und gedrungener. Das große Hirn gewinnt den notwendigen Raum vor allem durch
Erhöhung der Schädelkapsel. Hinterhaupt und Seitenwände werden beim Menschen
feiner modelliert. Die Gesichtsmuskulatur wird feiner und reicher differenziert
(Mimik).
Neben aufrechtem Gang und Hirngröße sind noch das langsame
Wachsen und Reifen ebenso wie die lange Lebensdauer weitere Grundmerkmale, die
den Menschen im Kreis der Primaten auszeichnen. Am längsten unter allen Säugetieren
ist bei ihm der Anteil der Jugend bis zur Geschlechtsreife.
Der entwicklungsgeschichtlich relativ junge Erwerb der aufrechten Körperhaltung
bedingt einige Unvollkommenheiten, die die Auslese noch nicht beseitigen konnte,
wie z.b. Disposition zu Unterleibsbrüchen und zu Bandscheibenschäden, zu Senk-
und Plattfüßen, zu X? und 0-Beinen und zur Bildung von Krampfadern infolge
Blutstauungen in den Beinen. "Überblickt man das ganze Tierreich in seiner
Formenvielfalt, so erscheint der Mensch als eine leichte Abwandlung anderer
tierischer Gestalten; er ist ein aufrechtgehender, haarloser, großhirniger
Primat". (SCHWIDETZKY).
Psychosomatische Eigentümlichkeiten:
Der Mensch ist ein
kulturschöpferisches, sprechendes, in Symbolen denkendes und über sich selbst
nachdenkendes Wesen. Die Kluft, die sich hier auftut zwischen dem Menschen und
seinem nächsten Verwandten, erscheint größer als die rein körperliche. Es
hebt sich eine Kultur ab mit unübersehbaren materiellen Schöpfungen von Geräten,
Kleidern, Schmuck, Häusern, Waffen; mit Religion,
Musik,
Dichtung und Wissenschaft. Eine unendlich variable und sich ständig vermehrende
Formenvielfalt, die sich sogar weitgehend von ihren Schöpfern gelöst hat und
zum Teil eigenen und neuen Gesetzen folgt. Das menschliche Gehirn ist wohl die
entscheidende materielle und strukturelle Vorbedingung der geistigen Entwicklung
des Menschen. Der Mensch hat innerhalb der Primatenreihe das größte
Hirnvolumen und Gewicht. Im Schnitt sind es 1400 - 1500 g, wohingegen der
Orang-Utan nur 350 g, der Schimpanse 400 g und der Gorilla 500 g Hirngewicht
aufweisen; auch im Anteil des Hirngewichts am gesamten Körpergewicht steht der
Mensch unter den Primaten an erster Stelle. Für die Beurteilung der
Entwicklungshöhe des Gehirns eines Säugers als Grundlage seiner psychischen
Leistungen ist das Großhirn (Endhirn) allein ausschlaggebend, nicht das
Gesamthirn. Die Vergrößerung des Großhirns, das hinten die übrigen Hirnteile
immer mehr überwächst, wird gleichzeitig durch die Bildung von Falten und
Furchen ergänzt. Die in dieser Weise erzielte Oberflächenvergrößerung der 2
bis 3 mm dicken Schicht von Nervenzellen ist in besonderem Maße Ausdruck höherer
Differenzierung. Die Steigerung der Hirnmasse und die Komplizierung im Bau der
Hirnrinde werden unter dem Begriff der Zerebralisation zusammengefasst. Beim
Menschen scheinen sich völlig neue Rindengebiete entwickelt zu haben.
Die stammesgeschichtliche Entwicklung der Primaten
Die ersten Primaten traten im Paläozän, der untersten Stufe des Tertiärs, also vor etwa 70
Millionen Jahren auf. Es waren kleine, baumbewohnende Tiere, die wahrscheinlich
von Insektenfressern abgeleitet werden können. Am Stammbaum der Primaten repräsentieren
die SPITZHÖRNCHEN also den ersten, das heißt den untersten Ast.
Im Eozän haben sich
aus spitzhörnchenartigen Ahnen eine Reihe von HALBAFFENgruppen entwickelt, aus
denen die heutigen Gespensteraffen und Nachtaffen (Lemuren, Makis) hervorgingen.
Gegen Ende des Eozäns wurden die ECHTEN AFFEN zu starken Konkurrenten der
Halbaffen, da sie wie diese Baumbewohner waren. Im Verlauf des Oligozäns
spalteten sich die weltweit verbreiteten echten Affen in zwei recht
unterschiedliche Gruppen auf: Es entstanden in der Alten Welt die
SCHMALNASENAFFEN (Pavian, Mandrill) und in der Neuen Welt die BREITNASENAFFEN
(Seidenaffe, Kapuzineraffe). Ihre Lebensweise war teilweise auch schon
bodenbewohnend.
Es ist absolut sicher, dass die in der Folgezeit schon während des
Oligozäns (vor etwa 30 Mio. Jahren)
auftretenden HOMINOIDEA, zu denen die rezenten Gibbons, Menschenaffen und der
Mensch zählen, aus den Altweltaffen hervorgegangen sind.
Der gemeinsame Vorfahre
von Menschen und Menschenaffen lebte vor nicht mehr als 8 Millionen
Jahren. Leider wissen wir über die Evolution der Hominiden und
Menschenaffen im späten Miozän vor fünf bis zehn Millionen Jahren so wenig,
dass wir den letzten gemeinsamen Vorfahren derzeit nicht identifizieren können.
Der aufrechte Gang ist das entscheidende Kriterium der frühen
Hominidenentwicklung. Er war in der Evolution eine wichtige Neuerung. Unabhängig
von der Frage nach seinen Vorteilen für die Hominiden muss man seine Ursache in
einer Verhaltensänderung suchen, die den Fortpflanzungserfolg steigerte. C.
Owen LOVEJOY, Paläanthropologe an der Kent State University spricht von der
"grundlegenden Dreiheit der Selektion, Fortpflanzung, Ernährung und
Sicherheit". Eine beschleunigte Fortpflanzung macht danach einen höheren
Energieaufwand für Fressen und Sicherheit wieder wett. Dieses Ziel ist
erreicht, wenn die Männchen, die ihre oberen Gliedmaßen zum Nahrungstransport
nutzen, gutes Futter liefern, so dass die Weibchen mehr Energie in die
Brutpflege investieren können. Weibchen, die sich ihren Partner nach der Zuverlässigkeit
bei der Nahrungsversorgung aussuchten, erhöhten die Überlebenswahrscheinlichkeit
für ihre Kinder. Wichtig und einzigartig an dem Paarverhalten der Hominiden
ist, dass jedes Geschlecht dem anderen etwas zu bieten hat. Das Männchen sorgt
zuverlässig für die Ernährung und bietet für die Weibchen und seinen
Nachwuchs zusätzlichen Schutz. Das Weibchen gewährleistet, dass die Gene des Männchens
in die nächste Generation gelangen, und diese besseren Überlebenschancen der
Nachkommen wirken sich erheblich auf die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der
Spezies aus.
Im späten Miozän
vor zehn bis fünf Millionen Jahren schrumpften durch eine Abkühlung des Klimas
die tropischen Wälder, der Lebensraum der Menschenaffen. Diese mussten nun mit
zerstückelten kleinen Waldgebieten vorliebnehmen. Damit begann ein bis heute
anhaltender Rückgang von Vielfalt und Individuenzahl der Menschenaffen. Nur
einem ging es gut, dem Hominiden. Er entwickelte eine erfolgreiche
Fortpflanzungsstrategie, zu der als wichtiges Element auch der aufrechte Gang
gehört.
Frühmenschen und Jetztmenschen
Die Menschenfamilie mit einer lebenden und mehreren ausgestorbenen
Arten aufrecht gehender Primaten schlug seit der Trennung vom gemeinsamen
Vorfahren mit den afrikanischen Menschenaffen einen eigenen Evolutionsweg ein.
Formal-zoologische handelt es sich um die Familie der Hominidae, die
umgangssprachlich meist als Hominiden bezeichnet werden.
Die Familie der Hominidae gliedert sich in frühe und späte
Hominiden. Alle frühe Arten mit
Ausnahme des Ardipithecus ramidus ("Bodenwurzelaffe") werden der
Gattung Australopithecus ("südlicher Affe") zugeordnet und
zusammenfassend als Australopithecinen bezeichnet.
Die
späteren Hominiden gehören zur Gattung Homo.
Das gemeinsame Merkmal der vielgestaltigen Hominidenfamilie ist der aufrechte
Gang.
Die frühen Hominiden gehören
nach Ansicht der meisten Fachleute alle zur Gattung Australopithecus mit den
sieben Arten anamensis, afarensis, bahrelghazali, africanus, aethiopicus,
robustus und boisei. Die 1994 benannte Gattung Ardipithecus, ein weiterer früher Hominide, umfasst nur eine Art: ramidus.
Sie gilt manchmal auch als achte Art von Australopithecus (Australopithecus
praegens).
Australopithecinen hat man bisher ausschließlich in Afrika gefunden, und zwar
in 1 bis 4 Mio. Jahre alten Sedimenten. Ihre Knochen zeugen vom aufrechten Gang
auf dem Boden, aber bei manchen Arten erinnern lange Arme und gebogene Finger-
und Zehenknochen noch an die Vorfahren auf den Bäumen. Die Australopithecinen
waren Vegetarier, und ihre "robusten" Arten (robustus, aethiopicus und
boisei) passten sich extrem an diese Ernährungsweise an durch sehr große
Backenzähne mit dickem, schnell nachwachsendem Zahnschmelz, einem kräftigen
Unterkiefer und starken Kaumuskeln, die manchmal an Knochenleisten des Schädels
verankert waren. Der Gehirnschädel der Australopithecinen ist mit 400 bis ca.
530 cm³ recht klein und wird von dem großen Gesicht verdeckt. Die Kieferpartie
war vorstehend, die Stirn fliehend. Die Australopithecinen waren 1 bis 1,5 Meter
groß und wogen 27 bis 45 Kilogramm. Soweit man weiß zeigen die Arten einen
ausgeprägten Geschlechtsdimorphismus: Die Männchen waren deutlich größer als
die Weibchen.
Homo, die Gattung der Jetztmenschen, erhielt ihren Namen 1758 von
Linné. Sie umfasst sieben Arten:
rudolfensis, habilis, ergaster, erectus, heidelbergensis, neanderthalensis und
sapiens.
Die Gattung entstand vermutlich vor 2,5 Millionen Jahren in Afrika
und ist heute weltweit verbreitet. Von den Australopithecinen unterscheidet sich
Homo durch das größere Schädelvolumen; die Spanne reicht von 530 cm³ bei den
früheren Arten bis zu 2000 cm³ bei heutigen Menschen. Die Körpergröße,
insbesondere die Beinlänge, und das Gewicht nehmen zu, während der
Geschlechtsdimorphismus sich verringert. Der gesamte Gesichtsschädel mit Mund
und Zähnen ist im Vergleich zu den Australopithecinen zurückgebildet. Bei
manchen Arten entwickeln sich starke Brauenwülste. Die Muskelansätze sind
allgemein kleiner, und die Schädeldecke ist deutlich dicker als bei den
Australopithecinen. Der moderne Homo sapiens hat noch weitere anatomische
Besonderheiten: Das Skelett ist relativ zierlich, Brauen- und Schädelwülste
sind zurückgebildet. Zähne und Kiefer sind kleiner, das Gesicht ist senkrecht
und flach mit einer ausgeprägten Nase. Der dünne Unterkiefer ist mit einem
vorstehenden Kinn ausgestattet. Der kurze Schädel ist durch eine hohe, steile
Stirn gekennzeichnet und beherbergt ein sehr großes Gehirn. Das vielleicht
auffallendste Merkmal unserer Spezies ist die Tatsache, dass sie für ihr Überleben
auf die Kultur angewiesen ist. Kultur und Symbolsprache sind seit etwa 40.000
Jahren entscheidende Kennzeichen des modernen Menschen.
Ardipithecus (Australopithecus) ramidus
(Aramis, Äthiopien ; 4,4 Mio Jahre, 1992)
Vor 4,4 Millionen Jahren wanderte im heutigen Äthiopien ein rätselhafter,
aber sehr auffälliger, affenähnlicher Hominide durch die Landschaft. Sein fast
vollständig erhaltenes Skelett liefert spannende neue Erkenntnisse über eine
Zeit, als die Hominiden sich noch nicht allzu weit von ihrem gemeinsamen
Vorfahren mit den afrikanischen Menschenaffen entfernt hatten.
Becken-, Bein- und Fußknochen weisen wahrscheinlich auf eine
andere Art der Fortbewegung hin als bei allen sonstigen Primaten. Mit der
Aussage, ramidus sei aufrecht gegangen hält man sich allerdings bislang noch
zurück. Von anderen Hominiden unterscheidet sich diese Spezies durch ihre
relativ großen oberen und unteren Eckzähne, einen schimpansenähnlichen ersten
unteren Milchbackenzahn, affenähnlichen Kiefergelenke, dünnen Zahnschmelz und
einen deutlich asymmetrischen unteren ersten Vormahlzahn. Insgesamt vermitteln
die Fossilien von Aramis den Eindruck eines deutlich primitiveren (affenähnlicheren)
Zustands als die Reste späterer Hominiden.
Nachdem man das gefundene Material anfangs der Gattung Australopithecus zugerechnet hatte, wurde
es in einer Korrektur, die im Mai 1995 in Nature erschienen ist, in die neue
Gattung Ardipithecus
eingeordnet. Ardi bedeutet in der Sprache von Afar "Boden" und ramid
heißt "Wurzel"; pithecus kommt aus dem Griechischen und bedeutet
"Affe". Gattungs- und Artname weisen also auf eine Spezies am Anfang
der Hominidenentwicklung hin.
AUSTRALOPITHECINEN
(PRÄANTHROPINEN, URMENSCHEN
Charles Darwin wagte 1871 in seinem Werk Die ‚Abstammung des
Menschen eine kühne Prophezeiung:
In
jeder großen Region der Erde sind die dort lebenden Säugetiere nahe mit den
ausgestorbenen Arten derselben Region verwandt. Es ist daher wahrscheinlich,
dass Afrika früher von jetzt ausgestorbenen Affen bewohnt wurde, welche dem
Gorilla und dem Schimpansen nahe verwandt waren; und da diese beiden Spezies
jetzt die nächsten Verwandten des Menschen sind, so ist es noch etwas
wahrscheinlicher, dass unsere frühen Urerzeuger auf dem afrikanischen Festlande
lebten.
Die Bestätigung für diese Aussage ließ nach Darwins Tod noch
fast ein halbes Jahrhundert auf sich warten. Erst dann gab der südafrikanische
Anatom Raymond DART bekannt, in Taung einen fossilen Kinderschädel gefunden zu
haben, den er 1925 einer neuen systematischen Gruppe zuordnete, die er
Australopithecus africanus nannte. Der von Dart gewählte Name Australopithecus
setzt sich aus dem lateinischen australo ("südlich") und dem
lateinisch-griechischen pithecus ("Affe") zusammen. Wie sich
herausstellte, waren die "südlichen Affen" nicht nur auf Südafrika
beschränkt, und Affen sind sie auch nicht. Wegen der strengen Regeln der
internationalen zoologischen Nomenklatur kann Darts Name jedoch nicht mehr geändert
werden. Deshalb ist
Australopithecus der gültige Gattungsname für eine vielgestaltige Gruppe früher
Hominiden, die offenbar keine Steinwerkzeuge benutzten und vor vier bis einer
Million Jahren im Osten und Süden Afrikas verbreitet waren. In der
Zeit, seit Dart den Gattungsbegriff prägte, hat sich durch weitere Entdeckungen
herausgestellt, dass zu Australopithecus sehr unterschiedliche frühe Hominiden
gehören, nämlich die sieben Arten anamensis, afarensis, africanus, robustus,
aethiopicus, boisei und in jüngster Zeit bahrelghazali.
Bild
rechts: Australopithecus africanus, Kind von Taung; Der Schädel war der erste
in Afrika gefundene Hominide. Er war die Grundlage für die Gattungs- und
Artbezeichnung. Der erste Molar ist nur teilweise durchbrochen. Dieser
Australopithecus starb also als kleines Kind. (Aus Johanson)
Diese frühen Hominiden gingen aufrecht, hatten jedoch im Gegensatz
zu unseren eigenen Gattung Homo ein relativ kleines Gehirn: Sein Volumen lag
meistens bei höchstens 500 Kubikzentimetern. Bei Homo dagegen liegt das
Gehirnvolumen meist über 600 cm³ und die Spanne reicht bis zu 2000 cm³.
Zwar gibt es zweifellos mehrere Australopithecinen-Arten, über
ihre Verwandtschaftsbeziehungen und selbst über ihre Einteilung herrscht
dagegen keineswegs Einigkeit. Nach Ansicht mancher Fachleute rechnet man die
robusten Formen, deren Schädelanatomie die Spezialisierung auf harte, zähe,
faserige Nahrung widerspiegelt, zur Gattung Paranthropus mit den Arten robustus,
crassidens, boisei und aethiopicus. Die anderen Arten werden manchmal grazile
Australopithecinen genannt, deren Schädel auf eine höher entwickelte Ernährungsweise
hinweisen, die neben Pflanzen auch Fleisch einschloss.
|